"Edle Einfalt - Stille Größe ..." - Gedanken an einen Raubwels Südamerikas
Bis heute gelten Welse als unheimliche Lebewesen. Das gilt besonders für die großen, räuberisch lebenden Arten, die überwiegend nachtaktiv sind. Tagsüber leben sie zurückgezogen in ihren Verstecken. Welcher Aquarianer und Welsliebhaber hat nicht schon einmal den Wunsch verspürt, ein solches Exemplar zu pflegen? Es aus seiner geheimnisvollen in eine möglichst naturnahe Welt zu überführen und dadurch hautnah beobachten zu können? Und welche Gedanken mögen ihm dabei durch den Kopf gehen?
Leider gestaltet sich die Haltung der großen Welsarten aufgrund ihres raschen Wachstums und ihrer Endgröße als schwierig, mitunter unmöglich. Andererseits bleibt bei vielen der kleiner bleibenden Spezies eher im Verborgenen, was Welsfreunde mit dem Urtypus ihrer Lieblinge, dem Waller, verbinden: Sein skurriles, zugleich jedoch faszinierendes Aussehen, seinen riesigen, unersättlichen Schlund und seine unbändige Kraft, die er aus dem Stand heraus zu entwickeln vermag.
Drei der vier bislang beschriebenen, in Südamerika beheimateten Arten der Gattung Cephalosilurus werden hin und wieder auch nach Deutschland für die Aquaristik eingeführt: C. apurensis, C. nigricaudus und C. fowleri. An ihnen dürfte der absolute Welsfan seine wahre Freude haben, kommen sie doch dem beschriebenen Urbild recht nahe. Als Lauerräuber sind sie andererseits wenig schwimmfreudig. Trotz ihrer Endlänge, die je nach Art zwischen 40 und gut 60 Zentimetern schwankt, lassen sie sich daher gut in Großbecken halten.
Der Pfleger kann dabei Beobachtungen anstellen, wie sie in freier Natur kaum möglich sind. Aber selbst dorthin dürften seine Gedanken beim Anblick eines solchen Tieres im Aquarium manchmal abschweifen. Denn hat es sich erst einmal eingewöhnt und zeigt seine natürlichen Verhaltensweisen, kann er zumindest erahnen, welches Leben die ganz groß werdenden und für ihn wohl stets unerreichbaren Arten in ihren Lebensräumen führen.
Cephalosilurus nigricaudus und seine Behausung
Die Abgrenzung insbesondere von Cephalosilurus nigricaudus zu C. apurensis ist mitunter schwierig, doch bei meinem hier gezeigten, einen halben Meter langen Exemplar handelt es sich zweifelsfrei um C. nigricaudus. Er bevorzugt als schlichtes Versteck einen übergroßen Terracotta-Eimer, dessen Eingang von den Blättern einer hohen Solitärpflanze gleichsam überdacht wird. Hier versteckt sich der einzelgängerisch lebende Wels tagsüber. Damit sein Blickkreis nicht eingeschränkt ist, lässt er üblicherweise das erste Körperdrittel herausragen. Dabei wandert der riesige Kopf mit seinen saphirblauen Augen sofort in die Richtung, aus der ihm die kurzen, aber hochsensiblen Barteln Veränderungen jeglicher Art signalisieren. Unwillkürlich fühle ich mich bei diesem Anblick an die „Ode an den Wels" des Österreichers Christoph Krall erinnert, einem Dozenten für Mathematik und Statistik am Betriebswirtschaftlichen Zentrum der Universität Wien, zugleich Autor mehrerer Barockopern-Libretti und Kabarettist. Anlässlich eines gewaltigen Wallermännchens, das im Mai 2007 an der Alten Donau unter einem Badesteg seine Brut bewachte und die Blicke zahlreicher Schaulustiger an sich zog, hat dieser so genial in Versform geschmiedet:
„Großer Wels! Der großen Fische
Größter, der du derzeit bist:
Friede deiner grünen Nische!
Großer Wels, sei mir gegrüßt!
Deine Wohnung, ganz bescheiden
zwischen Algen und Morast,
mag der größte Fürst dir neiden
in dem herrlichsten Palast.
Denn wie köstliche Juwelen
Füllst du, selbst ein Edelstein,
noch die engste deiner Höhlen
mit der Schönheit holdem Schein."
Üblicherweise verlässt mein Exemplar erst gegen Abend seine Behausung und zieht dann auf Nahrungssuche gemächlich einige Runden durch sein Becken. Mit seinen Barteln verfügt es über einen sehr guten Tast- und Geruchssinn, was ihm das Aufstöbern von Beute - in freier Natur überwiegend lebende Fische - selbst bei völliger Dunkelheit ermöglicht. Aufgrund seines ausgezeichneten Gehörs wird das Tier mittlerweile auch tagsüber aktiv, sobald es Personen und vor allem mich als Pfleger im Zimmer registriert. In Erwartung des Verabreichens von Fischfilet nimmt dieser Riese dann mit dem Kopf nach oben sogleich eine senkrechte Wartestellung ein. In dieser Position kommen Größe und Masse seines Körpers besonders zur Geltung, und vor allem aufgrund des kontrastreichen Wechsels einer Vielzahl brauner Punkte unterschiedlicher Intensität und Größe auf einer hellen Bauchunterseite besticht das Tier durch seine ihm eigene Schönheit. Wiederum mit Krall könnte man hier ausrufen:
„Wie groß du bist! Du Großer, Schöner!
Du Augenweide! Blick-Verwöhner!
Es funkelt, ohne alle Schuppen,
vom Bartel bis zum starken Schwanz,
gleich tausend hellen Sternenschnuppen
durchs trübe Wasser hell dein Glanz!"
Indes, wer einen solchen Wels von klein auf über einen längeren Zeitraum gepflegt und sich dabei ausreichend Zeit für intensivere Beobachtungen genommen hat, wird es nicht allein bei solchen Äußerlichkeiten belassen wollen:
„Doch wäre allen Glanzes Strahlen
nur Blendwerk, Lug und eitles Prahlen,
wenn nicht zum größten Reichtum äußrer Werte
ein gleiches Maß an inneren gehörte.
Getrost! Du brauchst die Prüfung nicht zu scheuen!
Du willst das Herz ja wie das Aug erfreuen!"
Was aber machen die inneren Werte eines solchen Tieres aus? Gehört dazu seine offensichtliche, schon dadurch an den Tag gelegte Seelenruhe, dass es sogar bis zu mehreren Stunden in der besagten „Bettelposition" ausharren kann? Ist es seine über all die Jahre angesammelte Erfahrung, die ihm das Bewusstsein vermittelt, schon nach kurzer Zeit unumschränkter Herrscher in jedem Aquarium zu sein, weil beispielsweise selbst große, für ihre Aggressivität hinlänglich bekannte Buntbarsche vor ihm Reißaus nehmen? Oder ist es seine Gelehrigkeit, die ihm zwischenzeitlich sogar ermöglicht, Personen aufgrund ihrer unterschiedlichen Schritte erkennen zu können? Rückblickend hat mich am meisten das ruhige, geduldige und im Grunde gutmütige Wesen des Welses beeindruckt. So verhält er sich Beifischen entsprechender Größe gegenüber weitgehend friedfertig. Und von mir als sein Pfleger lässt er sich nicht nur mit der Hand füttern, sondern nimmt - nach einer längeren Phase des Lernens und der Gewohnheitsbildung - auch gern Streicheleinheiten entgegen. Doch bis heute sind die Finger vor einem plötzlichen Zupacken nie ganz sicher. Offenkundig soll mir eine solche, hin und wieder ausgeführte Attacke meine letztlich beschränkte eigene Position verdeutlichen, ganz nach dem Motto: Alles bis zu einem gewissen Grad, die Grenzen setze ich!
Man darf gespannt darauf sein, wie sich dieser Koloss in den nächsten Jahren vor allem von seinem Verhalten her weiter entwickeln wird. Fest steht bereits jetzt, dass mich kein anderer meiner Aquarienpfleglinge so sehr berührt hat wie dieses Tier.
Das ist - letztlich auch für mich selbst - umso verwunderlicher, als es sich vergleichsweise selten fortbewegt und allein durch sein Dasein beeindruckt. Selbst Freunde und Bekannte, die mit der Aquaristik wenig im Sinn haben, räumen beim Blick von oben ins Becken auf das sie mit den Augen fixierende Exemplar ein, dass von seinem freundlichen Aussehen und seiner auffallenden Friedfertigkeit fast schon etwas Magisches ausgeht, gleichsam als wolle es uns etwas mitteilen. Der Betrachter wird zunächst in Staunen versetzt, dann aber zunehmend nachdenklich und beginnt vielleicht sogar, bestimmte Dinge, die ihn beschäftigen, in einem ganz anderen Licht zu sehen. Aber vermag ein Tier, zumal ein Fisch, uns Menschen etwas mit auf den Weg zu geben? Die erhabenen Worte Kralls wissen auch hierauf eine Antwort:
„Großer Wels! Du großes Vorbild,
das uns mit Erstaunen füllt!
Deinem freundlichen Gemüte,
nachzutun sind wir gewillt!
Lehr uns Weisheit, lehr uns Güte,
lehr uns Gesten und Gebärden -
lehre uns, wie du zu werden!
Edle Einfalt, stille Größe,
keine Schwäche, keine Blöße,
sind dein Seelen-Eigentum,
noch im Unglück hohe Würde,
Gleichmut unter jeder Bürde
mehren deines Wesens Ruhm!"
Ob es so etwas wie eine Seelenverwandtschaft zwischen Aquarianern und ihren Pfleglingen geben kann? Wenn überhaupt, so dürfte diese Nähe am reinsten in der Beziehung zu Großwelsen mit der gleichen Wesensart wie diesem Exemplar verkörpert werden.
Literatur:
Krall, C.: Ode an den Wels.
Ros, C. & W. Ros (2007): Cephalosilurus apurensis - Ein
gefräßiger Lauerräuber, aber nicht ohne Charme, D. Aqu. u. Terr. Z. (Datz) 60 (5): 38-42.
Ros, Wolfgang (2008): Cephalosilurus nigricaudus und seine Abgrenzung zu Cephalosilurus
apurensis, Aquaristik Fachmagazin & Aquarium heute (AF) 40 (1), Nr. 199: 34-36.
© Copyright Text und Fotos: AMAZONAS.
Dieser Artikel erschien 2008 in: AMAZONAS 20: 51-53. Unser ausdrücklicher Dank gilt Hans-Georg Evers, dem redaktionellen Betreuer dieses Süßwasseraquaristik-Fachmagazins, für seine Genehmigung zur Einstellung des Beitrags auf dieser Website.
Übrigens: In russischer Sprache kann der gesamte Beitrag hier gelesen werden.
Wolfgang Ros