Froschwelse in Lettland
„Froschwelse in Lettland“ – dieser Titel klingt zugegebenermaßen schon recht abenteuerlich. Denn zumindest der aufmerksame und kritische Leser wird rasch erahnen, dass in natürlichen Gewässern dieses nordeuropäischen Staats mit seinen strengen Wintern selbst so anpassungsfähige Arten, ja Überlebenskünstler wie der „Walking Catfish“ ihre Probleme und auf Dauer sicher keine Überlebenschance hätten.
Nein, vielmehr möchte ich hier die Erfahrungen meines in der lettischen Hauptstadt Riga lebenden Freundes Juris Bileskalns bei seiner Haltung mit Froschwelsen wiedergeben. Mit vergleichsweise einfachen Mitteln hat Juris erreicht, was bisher nur wenigen Pflegern dieser Art vergönnt war: Er konnte seine Exemplare gleich mehrfach zum Ablaichen bringen und das Paar- wie auch das Paarungsverhalten von Clarias batrachus in Wort und Bild festhalten. Zwischenzeitlich sind die Froschwelse nicht mehr in seinem Besitz, doch wo genau sich die Tiere heute befinden, wird erst später verraten.
Im Juni 2007 kaufte Juris in einem örtlichen Aquariengeschäft mitten aus einem Schwarm von etwa 20 Tieren zwei gescheckte halbalbinotische Froschwelswinzlinge. Diese maßen nur wenig mehr als 5 Zentimeter. Seit Februar hatte sie der Händler als „100-Tage-alte“ Tiere allesamt in einem 5-Liter-Verkaufsbecken angeboten. Juris setzte die beiden zunächst in sein 200-Liter-Aquarium, wo sie vorübergehend mit einigen Panzer- und Fiederbartwelsen, Skalaren und Zebrabuntbarschen vergesellschaftet wurden. Bei einer Wassertemperatur von 26° Celsius wuchsen sie in 4 Monaten bis auf 29 beziehungsweise 32 Zentimeter heran. Gefüttert wurden die Froschwelse mit Tubifex und roten Mückenlarven, später auch alle 2 Tage mit proteinreichen Hikari Pellets. Wie gierig sie fraßen, lässt sich gut in folgendem Video beobachten:
Schon bald wurde deutlich, dass es sich bei den beiden Tieren um ein Paar handelt. Letzte Sicherheit brachte die Unterscheidung anhand der Genitalpapille, die beim kleineren Exemplar deutlich zugespitzt war. Somit handelte es sich bei diesem um das Männchen.
Eigens für diese beiden Froschwelse stellte Juris im November 2007 ein weiteres, mit 380 Litern deutlich größeres Becken auf, in das er die bereits auf 32 beziehungsweise 34 Zentimeter angewachsenen Exemplare umsetzte. In diesem Aquarium, das über einen Eheim 2128-Thermo-Außenfilter gereinigt wurde, lebten sie ganz ohne störende Mitbewohner. Mit dem Verzicht auf eine künstliche Beleuchtung des Beckens wurde den Tieren ihre Eingewöhnung erleichtert. Zu ihrem Wohlbefinden trugen ebenfalls regelmäßige wöchentliche Teilwasserwechsel und eine jetzt tägliche Fütterung mit den bereits erwähnten Hikari Pellets, hin und wieder auch mit zusätzlich angebotenen Regenwürmern und Guppys (Poecilia reticulata) bei.
Aufsteigen an die Wasseroberfläche, um Luft zu holen
Dieser Vorgang ist bei beiden Partnern oftmals zeitgleich zu beobachten.
Und so konnte Juris bald das für Clarias batrachus typische Verhalten im Vorfeld der Paarung beobachten. Besonders in der ersten Hälfte seines folgenden Videos kann man deutlich erkennen, dass es sich bei den beiden Tieren um ein „eingespieltes Team“ handelt, das völlig frei ist von Aggressionen untereinander, wie sie sonst manchmal bei Froschwelspaaren beobachtet werden können. Gemeinsam ziehen sie ihre Runden durch das Becken, verfolgen sich gegenseitig, fast spielerisch, und halten dabei immer wieder Körperkontakt. Das – schlankere – Männchen übernimmt den aktiveren Part und stößt einmal mit dem Kopf gegen den Bauch des Weibchens, natürlich in der Absicht, so rascher die Paarung herbeiführen zu können.
Und tatsächlich sollte die Paarung unmittelbar bevorstehen, denn beide begannen in der Folge damit, auf dem Bodengrund ganz in der Nähe ihres Verstecks eine Mulde frei zu fächeln. Sodann laichte das Paar erstmals ab. Das Männchen umschlang seine Partnerin für eine Weile u-förmig und direkt nach dem Lösen der Umschlingung stieß diese die Eier aus. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrfach. Die Gesamtzahl der Eier war bei diesen „Halberwachsenen“ erwartungsgemäß gering und beschränkte sich auf wenige hundert, aus denen jedoch keine Jungfische schlüpften.
Ausgraben der Laichmulde
In den folgenden 12 Monaten wuchsen beide Tiere um etwa 8 Zentimeter. Im November 2008 hatte das Männchen somit eine Länge von 40 und das Weibchen von 42 Zentimetern erreicht. Bis Anfang Juli 2009 laichten die Tiere weitere vier Male, und zwar stets nach Einleitung bestimmter Veränderungen wie Temperaturanstieg und erhöhte Nahrungszufuhr, die bei Froschwelsen die Fortpflanzung mit auslösen. Da in keinem Fall Embryonen schlüpften, ließ Juris die Eier untersuchen. Aufgrund der auch nach zwei Tagen noch klaren, fast durchsichtigen Eier fiel das Ergebnis wenig überraschend aus: Diese waren durchweg unbefruchtet. Gespräche von Juris mit einem örtlichen Großhändler, der früher erfolgreich Clarias batrachus gezüchtet hatte, ergaben, dass wohl in Moskau die Art in großen Mengen gezüchtet und vorrangig nach Vietnam zum Verzehr verkauft wird, doch sollen diese Nachzuchten vor ihrem Transport aus welchen Gründen auch immer einer "thermischen Schockbehandlung" ausgesetzt sein und dadurch unfruchtbar werden – und vermutlich stammten Juris’ Exemplare auch von dort.
Weitaus problematischer als die fehlende Zeugungsfähigkeit war für Juris jedoch das Wachstum seiner Tiere: Zuletzt maßen sie 43 beziehungsweise 46 Zentimeter. Und ihr Appetit wurde immer größer: So war es für das längere Weibchen keine Schwierigkeit, an einem Tag zusätzlich zu den bereits gereichten Pellets auch noch 40 Guppyweibchen zu verschlingen. Entsprechend wurde das Wasser mit Ausscheidungen belastet. Nunmehr war es absehbar, dass auch das jetzige Becken den Tieren nicht mehr lange genügend Raum geben würde, ja bereits jetzt den Mindestansprüchen an die Haltung nicht mehr ganz gerecht wurde. Juris setzte sich daher mit dem Zoo in Riga in Verbindung, wo in einem Tropenhaus mehrere große Rundbecken untergebracht sind, in denen auch Schlangen und Krokodile gehalten werden. Eines dieser Bassins ist gleichsam als Innenteich gestaltet und ausschließlich größeren Fischen vorbehalten. Es fasst rund 10.000 Liter.
In diesem tropischen, aus insgesamt 6 Abschnitten mit wechselnder Tiefe und Strömung bestehenden Teich fand das Paar ein neues Zuhause. Neben mehreren Kois und einem Speisegurami (Osphronemus gorami) war darin bereits ein einzelnes, ausgewachsenes Froschwelsweibchen untergebracht, so dass schon von daher das zuständige Personal den Neuzugang begrüßte. Ein wenig traurig, aber immerhin im Bewusstsein, seinen Welsen künftig einen besseren Lebensraum zu bieten, konnte Juris sie kurzfristig dort hinbringen. Nach dem Einsetzen schwammen sie zunächst etwas orientierungslos, ja sie schienen fast verdutzt zu sein wegen der ungewohnten Ausmaße ihrer neuen Umgebung, suchten dann aber gemeinsam eine Versteckmöglichkeit im Randbereich auf. Bei seinen folgenden Besuchen konnte Juris die Tiere nicht mehr zweifelsfrei ausmachen. Lediglich flitzende Schatten ließen vermuten, dass sie nach wie vor am Leben waren.
Im Frühjahr 2010, an einem der ersten schönen warmen Tage, wie man sie sonst nur vom Sommer her kennt, hat Juris dem Riga-Zoo und natürlich zuvorderst den Froschwelsen wieder einen Besuch abgestattet. Mit einem etwas flauen Gefühl ging er den Beckenrand ab und hielt Ausschau nach seinen Tieren. Doch dieses Mal konnte er sich gleich mit seiner ganzen Familie davon überzeugen, dass das Paar die zurückliegenden Monate bestens überstanden hat. Alle konnten es im kristallklaren Wasser bestaunen, wie es auf einer natürlichen Sandschicht an seinem offensichtlichen Stammplatz ruhte. Bei einem solch großen Platzangebot und den sonst guten Bedingungen war das Männchen weiter auf schätzungsweise etwa 45 Zentimeter und das Weibchen auf sogar einen halben Meter gewachsen. Und wie damals im Heimaquarium begannen sie, einander folgend ihre – jetzt natürlich weitaus größeren – Runden durch das Bassin zu drehen, und es war eine Freude, sie so lebendig und schnell dahin ziehen zu sehen.
Diese Freude wurde nur dadurch ein wenig getrübt, dass Juris trotz intensiver Suche das ursprünglich dort – als Einzeltier – lebende Froschwelsweibchen nicht mehr entdecken konnte. Das ließ ihm auch anderntags keine Ruhe und so rief er die dortige Tierpflegerin an, die auch für die Fütterung der Fische in dem besagten Rundbecken zuständig ist. Was Juris bereits befürchtet hatte, sollte sich nun bewahrheiten: Sie berichtete vom Tod dieses Exemplars. Man fand es außerhalb des Bassins, wo es offenbar beim Versuch, sich im Torf einzugraben, verendet ist. Zwar ist bekannt, dass ausgewachsene Froschwelse zumal in der Fortpflanzungszeit recht aggressiv auch gegenüber Artgenossen werden können. Doch unternahm dieses Exemplar deshalb den Ausbruchversuch und kam dabei zu Tode?
Für die nähere Zukunft plant Juris eine größere Wohnung, vielleicht sogar ein Haus und damit einhergehend auch ein neues Aquarium – dann aber nicht unter 1.500 Liter. Seine früheren, nunmehr an den Teich gewöhnten Tiere will er zwar auf jeden Fall im Riga-Zoo belassen. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn er doch noch einmal ein zweites Froschwelspaar von klein auf großzieht und dann auf Dauer pflegen wird.
Juris Bileskaln (35 Jahre) lebt in Riga. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Ein einschneidendes Erlebnis bildete für ihn der 23. Mai 2001: An diesem Tag wurde er Opfer eines Raubüberfalls, bei dem ihn die Täter schwer verletzten, er über lange Zeit im Koma lag und nach intensiver Pflege die einfachsten Dinge wie Sprechen und Gehen noch einmal neu erlernen musste. Wieder völlig genesen, zählt in seinem „zweiten Leben“, für das er sehr dankbar ist, außer dem Schwerpunkt Aquaristik auch das Angeln zu seinen Hobbys.